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Die Propheten von Glenkill


Schafhirtin und Hund beim Grasen ihrer Schafe. Eine Unternehmerin und ihre Vision von selbstbestimmter Arbeit

Die Schafhirtin von Glenkill sitzt unter einem Baum auf einer Wiese und lässt ihre Schafe grasen. Die Sonne steht schon etwas tiefer und verspricht baldige Abkühlung nach einem warmen Tag. Die Hirtin beobachtet ihre Herde, die sich friedlich um sie herum am üppigen Grün labt. Ihr Hund liegt wie immer an ihrer Seite. Auch wenn er von außen betrachtet zu dösen scheint, ist er doch stets wachsam. Ihm entgeht keine Gefahr.


Schon bald ist es vorbei mit der Ruhe


Plötzlich hebt er seinen Kopf und wittert in Richtung des Dorfes. Mit aufgestellten Ohren schaut er wach in die Richtung, aus der man bald langsam ein leises Motorengeräusch vernehmen kann. Nach einer kurzen Weile erscheint am Horizont eine kleine Staubwolke, die langsam größer wird. Kurze Zeit später lässt sich ein Fahrzeug als Auslöser erkennen, das sich gleich darauf als schwerer Geländewagen entpuppt.


Der Wagen kommt näher, hält an, die Staubwolke verweht und es steigt ein dynamischer Mann im Anzug aus, der die Schafhirtin freundlich begrüßt. "Wenn ich Ihnen sage, wie viele Schafe Sie hier haben, kann ich mir dann eins Ihrer Tiere aussuchen?" Die Hirtin bejaht und verfolgt mit Interesse das Treiben des jungen Mannes. Dieser fängt nun an, seinen Wagen leer zu räumen und einen Haufen Ausrüstung aufzubauen. Nacheinander kommen ein Laptop mit Drucker, eine ausfahrbare Satellitenschüssel und allerlei kompliziert aussehendes technisches Zubehör zum Vorschein, die der Mann geschickt miteinander verbindet.


Ein Mann mit einer Mission


Sogleich stürzt er sich in die Arbeit; sein Gerät summt, schnarrt und piept. Er wuselt umher, tippt und programmiert, rauft sich die Haare, denkt nach, sitzt schwitzend über seinen Daten. Die Schafe, die sich bei seiner Ankunft skeptisch hinter Bäumen, Büschen und Steinen versteckt hatten, kommen langsam hervor und lauschen neugierig den sonderbaren neuen Geräuschen, die der Mann in den merkwürdigen Kleidern macht.


Schließlich endet die Geräte-Kakophonie. Vollkommen entkräftet entnimmt der Mann seinem Drucker einige eng beschriebene Seiten mit Tabellenkalkulationen, Grafiken, Umlaufbahnen und einer Menge verschiedenfarbeiger Zahlen. Nach kurzer Lektüre stößt er einen Triumphschrei aus, der die näher gekommenen Schafe aufs Neue verschreckt und den Schäferhund zu aufgeregtem Bellen veranlasst. Siegestrunken wendet sich der Mann an die Schafhirtin "Gute Frau, Sie haben hier ganz genau 427 Schafe."


Eine folgenschwere Entscheidung


Leicht beeindruckt bejaht sie wieder. Der Mann im Anzug sucht sich mit stolz geschwellter Brust ein Tier aus und will es gerade in seinen Geländewagen verladen, als sich die Frau an ihn wendet und fragt: "Wenn ich Ihren Beruf errate, bekomme ich dann mein Tier zurück?" Leicht verdutzt bejaht der Mann, woraufhin ihn die Schäferin sogleich mit ihrer korrekten Antwort überrascht: "Sie sind Unternehmensberater."


"Wie haben Sie das denn herausbekommen?" Die Hirtin blickt auf und hält drei Finger hoch. Erstens: Sie kommen, ohne dass ich Sie gerufen habe. Zweitens: Sie erzählen mir etwas, das ich schon weiß. Drittens: Sie haben keine Ahnung von dem was ich tue.


Und jetzt hätte ich gern meinen Hund zurück."


Verzerrtes Bild oder bittere Wahrheit?


Vielleicht kennen Sie den Witz schon. Vielleicht werden Sie sagen: "Genau solche Typen kenne ich auch." Die Frage ist: wer wären Sie lieber? Der Berater, der alles weiß und scheinbar noch mehr Informationen im Ärmel hat. Der seine Mission gut gekleidet und mit schwerem Gerät bis in den hintersten Winkel der Erde bringt? Oder die Schäferin, die ihren Traum lebt und mit den geliebten Tieren auf einer grünen Wiese in der Sonne liegt. Die über den Dingen zu stehen scheint und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt?


Oder gibt es da gar keine Frage für Sie? Vielleicht sind Sie aus Ihrer Sicht ja immer die Schafhirtin und solche wie ich immer der Berater. Vielleicht denken Sie auch, dass die Geschichte ganz schön abgedroschen ist und beides natürlich nur Extreme, die so nirgends existieren. Dass ich Sie hier nur aufs Glatteis führen will und beides nicht wirklich stimmt.


Eine Frage der Perspektive


Nun, was soll ich sagen - Sie haben mich erwischt. In Wirklichkeit ist hier natürlich weder die Welt der Hirtin noch die des Beraters vorzuziehen. Es geht vielmehr um die Sichtweise - Sie haben es natürlich längst erraten - der Schafe.


Die Sichtweise der Schafe? Haben Schafe überhaupt eine Sicht der Dinge? Warum sollten wir uns um die Schafe schäre, äh scheren? Sie denken, ich mache (flache) Witze? Mitnichten.


Natürlich kann es hier nur um die Sichtweise der Schafe gehen. Schließlich sind sie die Protagonisten dieser Geschichte. Ohne Schafe gäbe es weder die Hirtin, den Hund noch den Berater, ja es gäbe genau genommen nicht mal eine richtige Geschichte, nur einen Witz wo sich zwei treffen und dann nix weiter passiert...


Die Schafe sind die Antwort


Zugegeben, es mag die am wenigsten erwartete Sichtweise dieser Erzählung sein. Aus meiner Sicht wird es damit allerdings erst recht die wichtigste. Denn wer kennt schon alle Erwartungen seiner Kunden? Wer von Ihnen kann von seinen in mühevoller Kleinarbeit erstellten Personas schon besten Wissens und Gewissens behaupten, sie deckten Ihre Käuferklientel zu 100% ab? Eben.


Deswegen lohnt es sich, die Personas zu erstellen, sie danach aber auch wieder gut sichtbar weg zu stellen. Das schafft Abstand und lässt Freiraum für Unerwartetes. Nichts ist schlimmer, als wenn wir im Design Thinking von zu vielen Annahmen ausgehen, die den Ergebnishorizont von vornherein schmälern.


Den Kopf freimachen


Lösen Sie sich davon, etwas so zu machen, wie Sie es schon immer gemacht haben oder weil es schon einmal so funktioniert hat. Das kann klappen, muss es aber nicht. Wenn Sie es so machen, wie es JETZT funktioniert, wird es IMMER funktionieren. Wenn Sie offen für Neues sind, werden Sie eine Lösung finden, egal was kommt. Manche nennen es "auf alles vorbereitet sein", aber niemand kann das.


Haben Sie schon mal überlegt, warum die Schafe hinter ihrer Schafhirtin herlaufen? Nicht etwa, weil sie aus ihrem jahrhundertealten schafgesellschaftlich-kulturellen Hintergrund wissen, dass sie den Weg kennt. Sondern weil sie jetzt, in diesem Moment, konsistente Rahmenbedingungen für ihr Verhalten vorfinden. Sie verhalten sich konsistent in der gegebenen Situation, weil sie die Zeichen ihres Gegenüber deuten und ihr Gegenüber stimmige Signale zurückgibt.


So etwas nennt sich Vertrauen


Vertrauen ist unabdingbar für die Bereitschaft zu akzeptieren, dass das Unsichtbare trotzdem da ist. Niemand sieht jederzeit alles. Die Schafe waren die ganze Zeit da, aber haben Sie sie gesehen? Gleichermaßen lässt die Gesamtheit aller Ideen für die Lösung eines unternehmerischen Problems notwendigerweise Flecken dort, wo keine Ideen sind.


Nur wenn wir uns darauf einlassen, offenbaren sich verborgene Erkenntnisse. Dies gilt in gleichem Maß für die Erstellung von Personas, die Erwartung eines Nutzerverhaltens oder das Design eines neuen Prozesses.


Gemeinsam nach Glenkill


Jeglicher Alltag, auch und gerade der unternehmerische, kann das Einnehmen einer unerwarteten Perspektive enorm erschweren. Deswegen gibt es solche wie mich. Ob ich für Sie lieber Schäfer oder Berater sein soll oder doch lieber Lektor der Geschichte, das entscheiden Sie. Ich freue mich darauf, gemeinsam eine kleine Reise nach Glenkill zu unternehmen.


 
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